Xaver Stich – die Kolumne

Fußverkehr quo vadis?

Seit Anfang des Jahres gibt es in München ein Mobilitätsreferat und infolgedessen auch einen eigenen Mobilitätsreferenten. Erfunden hat das die Stadt, als sie noch in Geld schwamm – also vor Corona. Es ging dabei nicht etwa darum, dem naturgemäß trägen Verwaltungsapparat Beine zu machen. Nein, es sollten die verschiedenen Verkehre, ja so heißen die wirklich, umwelt- und klimagerecht umgebaut werden. In einem dieser eigentlich immer ermüdenden Online-Vorträge, denen man sich als erklärter Netflix-Verweigerer eher notgedrungen hingab, stellte dieser Mobilitätsreferent sein Konzept für die verkehrliche Zukunft vor. Beim Thema „Fußverkehr“ wachte ich plötzlich auf, weil ich den Begriff spontan mit Fetisch-Praktiken assoziierte. Aber dem war nicht so, es ging um Fußgänger, oder korrekt formuliert, um Fußgehende. In der an den Vortrag anschließenden Diskussion tauchte die Frage auf, warum der Fußverkehr im Gegensatz zum Radverkehr in den letzten Jahren abnahm. Die verblüffende Antwort des Referenten war, das sei wohl deshalb der Fall, weil vor allem die jungen Menschen nicht mehr so viel in der Stadt unterwegs seien und mehr zuhause an ihren Endgeräten hängen würden.

Zu Fuß gehen ist uncool

Diese etwas gewagte Erklärung wurde dann nicht etwa am nächsten Tag durch eine Presseerklärung des Referats wieder einkassiert. Man kann also davon ausgehen, dass auch nach reiflichen Überlegungen dieser Befund Bestand hat. Wohlgemerkt, der Rückgang passierte vor Corona, hat also nichts mit irgendwelchen Ausgangsbeschränkungen zu tun, die von vielen „jungen Leuten“ ja ohnehin nicht allzu ernst genommen wurden. Meines Erachtens gibt es aber noch eine andere Erklärung für die rückläufigen Zahlen: Wenn jugendliche Zeitgenoss*innen mal ausnahmsweise das Haus verlassen, dann dürfte es für manche einfach uncool sein, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Denn es gibt ja so viel mehr Möglichkeiten von A nach B zu kommen, die als cool durchgehen und dann verinstert, also per Instagram in die Welt verbreitet werden können.

Neue urbane Trendsportarten

Die klare Nummer eins ist in diesem Jahr zweifellos der elektrobetriebene Tretroller, neudeutsch E-Scooter. Als besonders cool gilt es für die Nutzer*innen, den Radweg grundsätzlich in falscher Richtung zu befahren und nicht etwa auf den Gehweg auszuweichen, wenn Radfahrende entgegenkommen, wie das eigentlich Usus ist. Eine kleine Renaissance erlebt derzeit eine Spezies, die ihre Skateboards auch bei vorhandenen Radwegen vorzugsweise in der Straßenmitte mit kräftigen Schüben vorwärtstreibt. Eine Variation davon bilden die Surfskater, nein -innen werden da selten gesichtet. Es sind meist schlaksige Jungs, die mit ausufernden Rumpfbewegungen ihre Bretter in Schlangenlinien über Gehsteige scheuchen, wobei zu Fuß Gehende wie Slalomstangen umkurvt werden. Der Gipfel der Coolness jedoch ist die Radfahrende, die mit einem Surfboard im Arm oder in einer am Rahmen angebrachten Halterung durch die Großstadt fährt, um dann am Stadtbach die Welle zu reiten. Wobei ganz offensichtlich mehr Surfboards transportiert als geritten werden. Was in den 1980er Jahren das Windsurfboard auf dem Autodach war, ist in den 2020ern das Surfbrett unterm Arm oder ans Fahrrad geschnallt.

Dem Mobilitätsreferent jedenfalls kann das nur recht sein, denn anders als die Golfs, Mantas und Unos sind die meisten der neuen coolen Fortbewegungsmittel CO2-neutral. Außer den E-Scootern. Aber die gehören verboten.

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