Xaver Stich – Die Kolumne

Es gab Zeiten – die Älteren werden sich erinnern – da wurde in der erlebnispädagogischen Szene heftig über Risiken debattiert. Welche DIN-Norm müssen Schwimmwesten bei welcher Aktivität erfüllen? Sollte man bei Lawinenwarnstufe 3 die Schneeschuhe gar nicht erst auspacken und ersatzweise auf dem geräumten Parkplatz Initiativübungen anbieten? Oder: Müssen alle, ja wirklich alle der Sicherheit dienenden Materialien beim Hochseilgarten redundant, das heißt doppelt vorhanden sein. Böse Zungen forderten damals etwas ironisch, man müsse dann auch konsequenterweise parallel einen zweiten Seilgarten als Absicherung vorhalten. Diese Zeiten sind lange vorbei. Heutzutage geht es um ganz andere Gefahren. Wo vor Jahren, nein Jahrzehnten unter anderem die Attraktivität von Landschaften ausschlaggebend war für die Ziele von Klassenfahrten, gibt es jetzt klare Kriterien, wohin man auf keinen Fall fahren darf. Man muss jedenfalls gut vorbereitet sein, heißt es in den Lehrer:innenzimmern.

Alles Todeszonen

Garmisch, Rosenheim Traunstein, Oberaudorf, das Berchtesgadener Land sowie das Hintersteiner Tal im Landkreis Oberallgäu kommen für Klassenfahrten nicht in Frage, weil dort Bären gesichtet wurden. Man stelle sich vor, dass bei einer Nachtwanderung der als Schlussmann eingeteilte Klassensprecher nach Rückkunft der Klasse im Quartier als vermisst gemeldet wird und in der Schüler-Lehrer-Eltern-App ein Alarm „viral“ geht. Es wird doch kein … Oder Wölfe? Der bayerische Ministerpräsident hatte ja bereits den Abschuss der gefährlichen Beutegreifer angekündigt. Schulklassen, die so unvorsichtig sind, ihre Häuser zu verlassen, könnten ja in einen Hinterhalt geraten.

Doch nicht in nur Bayern lauern die Gefahren. Auch andere deutsche Bundesländer sind nicht sicher. Österreich lassen wir hier mal aus guten Gründen außen vor. Die Asiatische Tigermücke, die in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gesichtet wurde, gilt laut Pressemeldungen als das „tödlichste Tier der Welt“. Oder der Schwarzbraune Ölkäfer. In Nordrhein-Westfalen wurde wegen ihm bereits ein Schulhof gesperrt. Zwar ist der Hautkontakt nicht gefährlich, höchstens unangenehm. Aber wenn er verschluckt wird, aus Versehen zum Beispiel, sollte man umgehend den Notruf wählen. Offenbar ist bei Schüler:innen in NRW eine Mutprobe verbreitet, auf dem Schulhof Käfer zu verspeisen und dann zu warten was passiert. Anders wäre die Sperrung wohl kaum zu begründen.

Ein achtbeiniger Blutsauger

Jetzt könnte man meinen, das alles seien aufgebauschte Pressestorys dubioser Blätter und ihrer zweifelhaften Quellen. Aber nein, auch die als seriös geltende Süddeutsche Zeitung hat Anfang Juni auf dem Titelblatt ihrer Wochenendausgabe eine halbseitige Illustration über „neue Gefahren“ platziert. Im Vordergrund eine riesige Zecke, im Hintergrund drei vom Betrachter wegfliegende, harmlos anmutende Corona-Kugeln. Pandemie, Klimakatastrophe und der Ukrainekrieg sind dann wohl eher Neben-K-Schauplätze. (Wir hätten gerne Boris Palmer befragt, ob dieses Wort okay ist, aber der ist leider in einer Auszeit.). Massenweise aufgetaucht sind die Zecken übrigens im Münchner Englischen Garten. Und gerade in dieses vermeintlich gefahrlose Parkgelände werden Klassenfahrten angesichts der beschriebenen Problemzonen umgeleitet. Aber wie kann man die Schüler:innen zuverlässig vor diesen Saugmonstern schützen? Nun, es wird kolportiert, dass die Bayerische Schlösserverwaltung die eingemotteten 1,5 Meter-Abstand-Schilder aus der Pandemiezeit wieder auspackt, um die Schüler:innen vor den zwar kurz geschorenen, aber dennoch gefährlichen Rasenflächen neben den Kieswegen fern zu halten. Hilfe!

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