Xaver Stich – die Kolumne

Selbstwirksamkeit ist ein Schlagwort, das es geschafft hat, sich aus den eher intimen Ecken von Psychologie-Seminaren zu emanzipieren. Als momentan in bestimmten Kreisen ziemlich hipper Slogan findet er zuweilen sogar Eingang in Talkshows, in denen normalerweise über Parteien, Politik und andere Katastrophen debattiert wird. Das Thema Bildung schafft es dabei sehr selten in solche Veranstaltungen. Wenn es doch mal passieren sollte, dann sitzen dort meist die üblichen Verdächtigen, die eher weniger von Bildung verstehen. Betont wird dann, wie wichtig es sei, dass junge Menschen auf die „enormen Herausforderungen“ von Wirtschaft und Industrie vorbereitet werden müssten. Der Silberrücken eines Industrieverbands redet dann an der Gewerkschaftsfunktionärin vorbei. Der Handwerksmeister müht sich ab, die Stammtische der Nation zu vertreten und nervt die Bildungsministerin, die nicht etwa eine ehemalige Schulleiterin, sondern gelernte Juristin ist.

Eine Talkshow mit seltenen Gästen

Kurz vor dem letzten Jahresende indessen, nachdem zum zigten Mal das Ampelende durchgekaut worden war, kam eine TV-Redaktion auf die glorreiche Idee, mal echte Pädagogik-Fachkräfte in eine Talkshow einzuladen. Und zwar ganz ohne die sonst obligatorischen Lautsprecher aus dem Politikbetrieb und den Interessensverbänden. Der geneigte TV-Konsument musste zwar die Kröte eines Moderators schlucken – sorry, Tierschützer! – der nach jedem halbwegs sachdienlichen Wortbeitrag „richtig“, „exakt“, „mein Thema“ oder „genau das mein‘ ich“ hinterherschob. Aber das war diesmal verschmerzbar. Ach ja, der Einstieg dieses etwas umständlichen Textes war der Begriff Selbstwirksamkeit. Darauf kommen wir noch zu sprechen. Doch erst mal: Auftritt der Akteure!

Eine sehr sorgfältig geschminkte Schulleiterin, die recht unpassend lächelnd eine „Postbank-Studie“ zitiert, wonach Schüler (m/w/d) 71,5 Stunden in der Woche online wären. Postbank-Studie? Warum der Ölmulti Shell, mit gefühlt 84 Jugendstudien und die Postbank sich nicht auf ihr jeweiliges Kerngeschäft konzentrieren, erschließt sich nicht jedem auf den ersten Blick … Es folgt der Leiter einer Grundschule in Berlin-Kreuzberg, phänotypisch irgendwo zwischen Teddybär und zauseligem Kneipenwirt mit dem schönen Statement, dass die Hälfte seiner Kinder nicht dazu in der Lage seien, sich ihre Sportklamotten richtig anzuziehen. Sport in der Grundschule – gibt’s das eigentlich hierzulande? Außerdem tritt der, laut Moderator „bekannteste Gymnasiallehrer Deutschlands“ auf. Wie schon sein Vorname Bob verspricht, fläzt er lässig im Talkshowsessel und behauptet, eine Debatte über Bildung und Schule finde eh nirgends statt. Denn überhaupt: “Wann hat ein Finanzminister das Wort Bildung je in den Mund genommen?“

Was passiert mitunter in Schultoiletten?

All jene, die diesen Text überraschenderweise immer noch lesen, haben wohl längst vergessen, dass eigentlich Selbstwirksamkeit das Thema sein sollte. Nun ja, hier kommt’s nun endlich: Ausgerechnet Bob, der Gymnasiallehrer war es, der Marina Weisband, ehemalige Chefin der Piratenpartei und gern geladener Talkshowgast zum Thema Selbstwirksamkeit zitiert: Schultoiletten-Vandalismus sei eine Form von Selbstwirksamkeit an einem Ort, an dem sich Schülerinnen und Schüler ebenso erleben würden. Auf den Klos fühlten sie sich unbeobachtet. Und weil sie andernorts keine konstruktiven Werkzeuge an die Hand bekämen, bleibe ihnen nichts anderes, als sich auf diese Weise zu äußern: durch Randale und Zerstörung.

Kurz zuvor hat übrigens der etwas zauselige, aber sehr sympathische Grundschulleiter zum Besten gegeben, dass „seine Kinder“ weder rückwärtslaufen, noch einen Purzelbaum schlagen könnten und zudem noch häufig adipös wären. Aber darauf, dass körperliche Bewegung hier eine von mehreren Gegenstrategien sein könnte, darauf kam man nicht (mehr) zu sprechen. Der Moderator bedankte sich noch bei seinen Gästen und schloss mit den Worten: „…sollten wir wiederholen“ und wusste dabei schon, dass man darauf noch sehr lange warten muss.

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